Die Lohner Sissi

Eine voreheliche Beziehung.

Eigentlich hat sie ja meiner Mutter gehört.

Als Chefköchin der Nervenheilanstellt am Steinhof musste die Arme häufig ihren Dienst sehr früh am Tag antreten. Die öffentlichen Verkehrsmittel begannen ihren Dienst aber so spät, dass unser Mütterlein Probleme hatte, zeitgerecht zur Arbeit zu erscheinen. So fasste Sie den Entschluss mit der Lohner Sissi eine Fahrgemeinschaft zu bilden.

Ach ja, für diejenigen, die sich mit Zweiradfahrzeugen nicht so genau auskennen. :

Bei der Lohner Sissi handelte es sich um ein sogenanntes Moped.

Das Ding hatte irgendwie Ähnlichkeit mit einem Roller und war mit einem 50ccm

Motor ausgestattet.

Damit es auch wirklich ein Moped war, musste das „Fahrzeug“ auch Pedale haben.

Wie ein Fahrrad halt. Was dem ohnehin schon schwulen Aussehen, die Krone aufsetzte.

Zu dieser Zeit war ich glücklicher Besitzer einer HMW-Supersport. Auch ein Moped.  Aber dieses Modell kam einem echten Motorrad vom Aussehen her schon wesentlich näher. Normalerweise hätte ich für das Mopperl der Mama nur ein verächtliches Grinsen übrig gehabt.

Wenn, ja wenn, da nicht die ersten prepupertären Anwandlungen, das weibliche Geschlecht betreffend, gewesen wären.

Auf der HMW durfte man nur alleine fahren.

Auf dem mütterlichem Schwuchtelkrapfen konnte man jedoch jemanden mitnehmen.

Nun begab es sich, dass ich gerade zu jener Zeit ein ausnehmend hübsches Mäderl kennen lernte, welches sich gerne als Sozia zur Verfügung stellte.

Also brauchte ich dringend etwas zweisitziges und rasches Handeln war erforderlich.

Am Sonntag wollte ich mit dem Schwarm meiner damaligen Träume einen Mopedausflug ins Grüne machen.

Die Sissi war aber leider von der Mutter okkupiert. Mütterlein musste ja dringend am Steinhof  Kuchen backen und hatte daher für meinen Bedarf an einem zweisitzigem Fahrzeug aber auch schon gar nichts übrig.

Da nützte kein Betteln und kein Flehen, um so mehr an Sonntagen die Straßenbahn noch später als sonst ihren Betrieb aufnahm. Faule Säcke das bei den Verkehrsbetrieben.

Was blieb mir anderes über als am Vorabend den Zündkerzenstecker des mütterlichen Moped’s abzuziehen.

Mütterlein war dann um fünf Uhr früh bei der Sissi und hat bis halb sechs mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu starten versucht. Klarerweise ohne Erfolg. Da half es auch nichts, dass ihr der Hausmeister bei den Startversuchen half. Der Kerl hat sich noch nie mit Irgendetwas ausgekannt und er war eher ein Garant dafür, dass die Sissi den Dienst verweigern wird.

Ein klein wenig ein schlechtes Gewissen hatte ich schon als ich die Szenerie hinter dem Vorhang vom Fenster aus betrachtete.   Aber die Aussicht mit einem lieben Mädel den Sonntag verbringen zu können, haben mein Gewissen sehr rasch beruhigt.

Um halb Zehn habe ich dann das Haus verlassen, den Kerzenstecker wieder angesteckt, Sissi ist auf den ersten Tritt angesprungen und der Hausmeister hat geglaubt ich bin ein Hexer.

„Brauchst gar ned probieren Bua“ hatte er vorher gemeint „ mir haben a Stund umgschissn und nix is gaungan“

Pünktlichst war ich am Treffpunkt und eine Dreiviertelstunde später erschien auch schon meine Sozia.

Diese Art der Pünktlichkeit hat sie sich bis in ihr hohes Alter bewahrt.

Wir verbrachten unseren Tag auf den kurvenreichen Strecken im Wienerwald und es war einfach super.

Am Abend bedankte sich meine Mutter überschwänglich bei mir, weil ich das Mopperl repariert habe und sie morgen damit wieder zu Arbeit fahren konnte.

Die Liaison mit dem Mädchen, Margit war ihr Name, war aber länger anhaltend  Dadurch wurden mehrere Sabotageakte notwendig ehe meine Mutter zu dem Schluss kam: Die Sissi ist eine fürchterliche Kraxn die als zuverlässiges Transportmittel für eine gewissenhafte Mehlspeisköchin völlig ungeeignet ist.

In der Folge  wurde das Ding meiner Obhut übergeben, mit der Auflage, an besonders hohen Feiertagen, wie zum Beispiel am ersten Mai, mein Mütterchen zur Arbeit zu bringen.

Viele schöne Ausfahrten haben wir mit der Sissi gemacht. Höhenstrasse und Jubiläumswarte waren häufige Ausflugsziele und sogar bis nach Krems, in die Wachau und auf den Neusiedlersee haben wir uns gewagt.

Meistens waren diese Ausfahrten gewürzt mit irgendwelchen Ereignissen der besonderen Art.

Sehr oft hat es am Wendepunkt des Tagesausfluges zu regnen begonnen und wir sind völlig durchnässt nach hause gekommen.

Unzählige Patschen, Risse des Gasseiles, des Kupplungsseiles und des Bremsseiles haben verhindert das wir jemals zu der Zeit, zu welcher Margit zuhause sein musste, auch zu hause waren.

Einmal mussten wir am Neusiedlersee infolge mehrerer Gewitter in einer Schilfhütte verkriechen.

Dafür liebte ich die Sissi die uns dorthin brachte. Und ich liebte ebenso die Gewitter die uns dort festhielten.    

Ein paar sonderbare Eigenschaften hatten sie aber schon die Sissi.

Kleine Räder beispielsweise, die eine besondere Fahrtechnik erforderten, wollte man schnell sein.     Das habe ich speziell geübt. Meine Kurventechnik entwickelte sich derart, dass ich so schnell es nur möglich war auf eine Kurve zufuhr, leicht mit der hinteren Bremse verzögerte, die Sissi querstellte und am Schutzblech in die Kurve driftete.

Es gibt kaum eine spektakulärere Art Kurven zu Fahren.  Es kracht und scheppert und besonders wenn es dunkel ist sind die sprühenden Funken äußerst spektakulär.

Bei Bergabfahrten war ich durch diese Technik, auch durch weitaus stärkere Motorräder nicht zu schlagen.

An einem Sonntag hab ich irgendwo in unserem Grätzel die Horak Gitti aufgelesen.

Die Gitti, muss man wissen, war so ein Triumph-Clup-Groupie .  An dem besagten Sonntag ist sie aber übriggeblieben, weil auf  keiner Triumph Platz für sie war.

„Was is Langer, nimmst mi mit“ fragte sie.

„Nau kumm hau die aufe“gab ich zu Antwort und schon saß sie hinter mir.

Und so fuhren wir auf die Wiener Höhenstraße. Zu der Zeit eine meiner Lieblingsstrecken.

Obwohl uns während der Anfahrt zum höchsten Punkt des Kahlenberges nur zwei

Fahrradfahrer überholten war das Bergauffahren recht mühsam.

Bedingt durch das Gewicht zweier Personen waren wir halt ein wenig langsam und die Horak  Gitti flüsterte mir allerhand Frechheiten ins Ohr.

Das konnte man damals noch, denn es gab keine Helmpflicht.

Hätte auch nichts genützt wenn es sie gegeben hätte, weil es gab ja auch keine Helme.

„Da geht jo nix weida mit der Gurkn“ und „da schlafm ma jo die Fias ei“ bekam ich zu hören.

Und wie schnell eine Triumph da rauf fahren würde.

Und was ihr da nur eingefallen ist mit so was mit zufahren.

Und ob’s nicht ein bisserl schneller ginge.

„Na wart ein bisserl Mädl“ sagte ich „wir fahren ja runter auch wieder“.

Langsam stieg mir die Zornesröte ins Gesicht.

Oben angekommen gönnte ich der Sissi und mir eine kurze cool-down Fase.

Die Sissi hat die nicht wirklich benötigt, die hatte ja einen Gebläsegekühlten Motor.

Ich aber umso mehr. Ich war, wie der Volksmund sagt *haß*.    

Dann aber kam die Abfahrt.

Wie ich schon sagte.   Es war meine Lieblingsstrecke.

Ich bin sie sehr häufig gefahren.      

Ich bin sie sehr häufig sehr schnell gefahren.

Und ich habe dort häufig richtige Motorräder hergebrannt.

Nur  diesmal  war  es   anders.

Für mich gab es kein Morgen.        Es zählte nur diese eine Abfahrt.

Es hat gekracht. Es hat geraucht. Der Motor hat gejault. Das Schutzblech hat gescheppert, die Funken sind geflogen und es hat gequitscht.

Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch es ist die Horak und sie quitscht vor Freude.

Es war eh die Horak.         Nur ihre Freude hielt sich in Grenzen.

Als wir dann unten an einer Kreuzung anhalten mussten, sprang sie vom Mopperl schrie mit weitaufgerissen Augen und in höchster Dissonanz „Arschloch“ und lief weg. Während ich noch nachdachte ob, und wenn warum, die mich meinte, spürte ich es nass am Hintern.     Da hat mich doch die Horak glatt angepinkelt.

Aus Freude wird es wohl es nicht gewesen sein.

Obwohl, wir hatten damals zuhause einen Hund, einen lieben Spaniel.

War auch ein Mädchen.      Senta hieß es.

Die hat sich auch öfters vor Freude angepinkelt wenn sie mich sah.

Mit der Margit bin ich ja viel zivilisierter gefahren und so hat es uns auch nur ein einziges Mal hergehaut.

Das war als wir vom Gewichtheberverein nach Hause fuhren und ich etwas zuviel Bier getrunken hatte.

Wir waren aber eh’ nicht schnell und es war genau die letzte Kurve vor dem Haus.

Leider haben der Margit ihre schönen neuen Schuhe dran glauben müssen.

Ja , einige sogenannte „Hatzerln“ haben wir noch absolviert die Sissi und ich.

Zum Beispiel war da noch der Adi.  Zorn hat er geheißen. Ein ziemlicher, wie man in Wien damals sagte „ Goschnreisser“. Der Kerl war der festen Überzeugung, dass er schön ist und war hinter jeder Schürze her wie der Teufel hinter einer Seele.

Natürlich versuchte er auch bei der Margit querzubraten und scheute selbst unlautere Mittel wie den Einsatz von Alkohol nicht.

Da er als Fahrer für eine Schnapsbrennerei tätig war fehlte es ihm an Nachschub nicht. So kredenzte er meiner zukünftigen Freundin süßen Orangenlikör, wobei er allerdings die Rechnung ohne den Wirt, besser gesagt ohne die arme Kleine machte.

Die hatte nämlich nach zwei größeren Schlucken einen noch größeren Rausch und

stammelte nur noch unzusammenhängendes Zeug.

Der Adi hatte einen Zorn (Nomen est Omen) weil er sich den Verlauf der Sache anders vorgestellt hatte. Besonders glücklich war ich auch nicht, da mir der Dreckspatz den Nachmittag versaut hatte.

Rache tat Not. Es musste etwas geschehen um den Zorn in die Schranken zu weisen.

Nun, der Zorn war damals glücklicher Betreiber eines Motorrades. Und zwar einer

Puch 250SGS. Das war schon so etwas wie ein Sportmotorrad. Er hatte das Ding

zwar, aber es gehörte ihm nicht. Letztlich hatte er ja zum Erwerb nur eine kleine Anzahlung geleistet und erst drei Raten bezahlt.

Aber wie der Kerl eben war erzählte er jedem der es hören wollte und auch denen die es nicht hören wollten, wie schnell er damit fahren konnte.

Er wäre ohnehin das größte Naturtalent auf zwei Rädern und die Kombination Adi&Puch wäre unschlagbar.

Zu meiner Freude glaubte er das sogar. Es fiel mir daher nicht sonderlich schwer, den Möchtegern-Racer zu einem Privatrennen herauszufordern.

Dem Adi kostete das lediglich ein Lächeln.

„Bist jetzt schon ganz deppat Bua“ meinte er“ hams dir ins Hirn gschissn? Was willst denn mit deiner Pupperlhutschn?“

„Na ja“ sagte ich“ fahren wir vom Gasthaus auf der Jubiläumswarte hinunter nach Hütteldorf zum Schweinernen Frack und der Verlierer zahlt der ganzen Partie ein Bier und dem Sieger zwei Kinokarten für den Film „der Wilde“.“

Das war seinerzeit  d e r  Film und hatte unter den sogenannten Halbstarken Kultcharakter.

„Na guat, wennst soviel Geld hast. Wann willst denn fahren?“

„Na jetzt gleich“

Nun muss man wissen, die Strasse von der Jubiläumswarte windet sich in engen

Kehren zu Tal und war meist durch Schotter und Kies verunreinigt.

Für mein Vorhaben den Adi herzubrennen und ihn solcherart als Schwätzer zu entlarven also bestens geeignet.

Um es kurz zu machen. Der Adi hat den Start gewonnen. In der ersten Kurve habe ich ihn im Drift innen überholt. Von da an muss er irgendwie von der Rolle gewesen sein, denn in der Folge durchschlug er einen Maschendrahtzaun eines Schrebergartens worauf  die SGS an einem Zwetschkenbaum zerschellte.

Das weis ich aber nur vom Hörensagen, weil ich das nicht mitgekriegt habe. Ich glühte wie ein geistesgestörter abwärts zum Schweinernen Frack, wo mich nach geraumer Zeit der Fischer Poldi vom Rennverlauf des Zorn’s in Kenntnis setzte.

Später stellte sich heraus, mein Triumph war total. Dem Adi ist körperlich nicht arg viel passiert. Die Schulter war ausgekegelt und der Oberarm gebrochen. Er konnte aber bereits nach vier Tagen das Krankenhaus wieder verlassen. An der Meisterschaft des Hernalser Turnvereines konnte er allerdings in diesem Jahr nicht mehr teilnehmen. Für die Puch hat er noch 70 Schilling bekommen. Seine Verbindung zu dem Motorrad war dadurch aber keineswegs beendet, da Adi noch weitere zwei jahre Raten bezahlen durfte.

Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Er hätte einfach nicht versuchen sollen, die sich

eben erst anbahnenden zarten Bande zu meinem Mädel zu stören.

Leider ist unter meiner fürsorglichen Obhut die Sissi relativ rasch gealtert.

Und so ergab es sich, dass eines schönen Sonntags Margit meinte:“ Was ist fahren wir ein bisserl spazieren?“

„Geht ned Schneck“ Schneckerl war der Nickname von Margit „geht ned die Sissi hat keine Bremsen. Vorne ist das Bremsseil gerissen und hinten hab’ ich das Bremsstangl verloren. Muß ich mir morgen in der Firma reparieren“.

Also sind wir zuhause herumgelungert, was mir an dem Tag eh’ viel lieber war.

Nachdem ich am Abend die Margit, zu Fuß, nachhause begleitet hatte, musste ich noch den Dangl Peter aufsuchen.

Der Peter wohnte im Stockwerk über mir. Er hatte in der Vorwoche sein Moped bei einem Auffahrunfall zerstört und da wir beide auf der gleichen Baustelle im zweiten Bezirk tätig waren, fuhren wir immer gemeinsam zu Arbeit.

„Peter, morgen müssen wir ein bisserl früher aufbrechen“ teilte ich ihm mit „ i hab’ keine Bremsen und wir müssen langsam fahren.“

„Kein Problem“ versicherte mir Peter „Die Mama wird mich aufwecken“

Nun, die Danglmama hat verschlafen, worauf sich auch der Peter verschlafen hat und beide konnten erst durch mein langanhaltendes Läuten an der Dangelschen Türglocke geweckt werden.

Jetzt waren wir in Eile.

Wenn man schon ein Fahrzeug aufgrund fehlender Bremsen nicht zum Stehen bringen kann, ist es sicher klug eine Geschwindigkeit zu wählen, welche beim Aufprall an etwaige Hindernisse keine allzu großen Spuren hinterlässt.

Aber wir waren ja in Eile.

Quellenstrasse, Triesterstrasse, Matzleinsdorferplatz. Na geht doch ganz gut.

Also runter die Wiednerhauptstrasse.

Damals war die Verkehrsdichte noch nicht so ausgeprägt wie heute. Die meisten Leute benutzten die Strassenbahn um zur Arbeit zu kommen.

Und so eine Strassenbahn, nämlich der Fünfundsechziger, fuhr damals auch über die Wiednerhauptstrasse.

An einer Haltestelle holten wir so einen Fünfundsechziger ein. Ungebremst.

Eine große Anzahl von Fahrgästen stieg aus und ein und es musste mir eine Alternative einfallen um nicht ein Blutbad anzurichten.

Also links raus und auf die Gegenfahrbahn um der Menschentraube auszuweichen.

Auf der Höhe des ersten Waggons schoss mir durch den Kopf „ Hoffentlich läuft da niemand vor dem Triebwagen über die Strasse.

Und da war sie auch schon. Ich habe das Mopperl nach Links verissen, worauf der Peter nach rechts kippte und die ältere Dame, die Wieselflink die Strasse zu überqueren versuchte, durch einen klassischen Bodycheck erlegte.

Daraufhin kamen wir zu Sturz und rutschten auf unseren Hintern, noch immer in klassischer Soziushaltung, dem entgegenkommenden Strassenbahnzug entgegen.

Wir schlugen nicht auf, kamen dem Triebwagen aber immerhin nahe genug, um die weit aufgerissenen Augen des Tramwayfahrers zu erkennen.

Die Sissi aber, schnell wie immer, überholte uns und zerschellte an der Strassenbahn.

Womit das Schicksal der Sissi besiegelt war. Nachdem ich finanziell ziemlich verwahrlost war, war an eine Wiederherstellung des Mopperls nicht zu denken.

Eine weitere Konsequenz war, keinen Führerschein für Motorräder zu machen, da ich geistig scheinbar nicht geeignet schien einspurige Fahrzeuge zu betreiben.

Also kauften wir uns, „wir, das ist meine dann schon angetraute Margit und ich, ein Auto. Und zwar einen Renault 4CV.

Aber das ist eine andere Geschichte.