Die Geschichte einer großen (Puch) Liebe
Erstbesitz
Die
Geschichte einer großen Liebe
von
Kurt Lorenz
Ich wurde 1951 in Graz-Puntigam geboren und wurde ganz schnell erwachsen. Im Taufschein steht „PUCH 150 TL“. Er war schon 19 und hatte gleich ein Auge auf mich geworfen, ja, es war Liebe auf den ersten Blick. 1952 im Februar dann die Eheschließung, d.h. die Erstzulassung in Graz. Wir verstanden uns vom ersten Tag an prächtig und es folgten sechs glückliche gemeinsame Jahre und hundertundzweitausend unfallfreie Kilometer, sommers und winters auf damals meist noch nicht asphaltierten und oft vereisten Straßen. U.a. machten wir eine Italienrundfahrt bis nach Neapel und zurück. Der längste und härteste Ritt führte uns in sieben Tagen von Graz nach Stockholm, mit einem Sozius und einem Einradanhänger mit dem Gepäck. Wir haben uns dabei nichts geschenkt. Als wir nach einem langen Tag in Hamburg die Jugendherberge endlich gefunden hatten („die ist am Stintfang – Stint, das is’n Fisch!“ lautete die Wegbeschreibung), war sie schon voll, und so fuhren wir im strömenden Regen die Nacht durch. Der Sozius schlief immer wieder ein und wurde immer schwerer auf Kurts Rücken, bis er durch einen Ellbogenstoß in die harte Realität zurückgeholt wurde. Am nächsten Tag, es regnete immer noch, kamen wir in Dänemark um 13h wieder zu einer Herberge. Kurt läutete – nichts. Er läutete noch einmal, und es drehte sich ein Schlüssel im Schloss. Ah, jetzt macht einer auf! Aber Fehlanzeige, er machte zu. Kurt läutete noch einmal, und jetzt machte er auf, holte ihn rein und zeigte wortlos auf einen Satz in den Statuten an der Wand : “Wanderer mit Motorfahrzeugen finden keine Aufnahme.“ Also wieder weiter bis wir um 17h wieder eine Herberge fanden. Seit dem letzten Bett waren es jetzt ein Tag, eine Nacht und wieder ein Tag. Vorsichtshalber ließen mich die Beiden 100 Meter davor stehen und gingen erst einmal zu Fuß hin. Die Vorsicht war überflüssig, denn der Hof stand voll mit Motorrädern und Autos! Sie holten mich schnell nach und fielen in die Kojen.
Die Monate in Schweden waren gemütlich. Kurt und sein Freund arbeiteten in einer Fabrik bei Stockholm, und der Linksverkehr war für uns Drei kein Problem. Kurt, seine schwedische Freundin und ich machten schöne Fahrten durchs Land und waren u.a. begeistert vom Kreisverkehr, der da, wie auch in England, längst gebräuchlich war, und den man bei uns erst in den letzten Jahren richtig entdeckte. Als Kurt und ich einmal nachts nach haus fuhren, standen plötzlich drei blonde Schwedinnen am Straßenrand um ein Auto anzuhalten. An uns sahen sie natürlich vorbei – aber wir hielten an! Ihre ungläubigen Gesichter wechselten schnell zu heller Begeisterung, als Kurt auf den Tank vor rutschte, eine Dame auf seinem Sitz, die zweite auf dem Sozius-„Brötchen“, und die dritte im, bzw. auf dem Anhänger mit Blick gegen die Fahrtrichtung platzierte. Diese Fahrt haben die Drei wohl nie vergessen, verrückter Österikare!
Es ist Kurts Freund wohl nicht zu verdenken, dass er nicht mehr mit uns, sondern per Bahn nach Graz zurückfuhr. Für uns beide war es nun schon etwas leichter, zumal in Bayern bereits Schnee lag. Der Anhänger erwies sich übrigens im Schnee besonders bergauf als Stabilisator, z.B. über die Tauernstraße.
Nach ein paar Wochen zuhause ging es in die Schweiz nach Zürich, wo Kurt bei Avis rent-a-car Autos vermietete. Nach 3 Jahren, in München, Kurt hatte geheiratet und bewegte sich jetzt auf vier Rädern, war für ihn die wilde Zeit vorbei, und für mich begann ein Dornröschenschlaf, der 50 Jahre dauern sollte. Ich erwachte, als ich Kurt telefonieren hörte und erschrak: „Ja, komm vorbei und schau sie Dir an – über den Preis werden wir uns schon einig“. War dies das Ende? Nach allem, was wir zusammen erlebt hatten, wollte er mich weggeben? Er holte mich hinter dem Gerümpel in der Garage hervor, und mir muss wohl eine Träne aus dem Scheinwerfer getropft sein. Er telefonierte wieder, und ich hörte ihn sagen: „Tut mir leid, aber sie hat mich so traurig angesehen, ich geb sie nicht her!“
Warum heißt es eigentlich, Motorräder hätten keine Gefühle? Ich hatte eines, verdammt noch mal! Und was für eines! Ich hätte Kurt küssen können, aber das können Mopperln nun doch nicht.
Es folgte eine wunderschöne und zärtliche Zeit. Eine Überholung, also Zylinder schleifen, Kolben und Kolbenringe tauschen war trotz 102 000 km nicht nötig, nur gute neue Dichtungen bekam ich. Ein paar Kicks, und ich sang mein altes Lied! Kurt, inzwischen 80 und ich auch nicht mehr die Hübscheste, gab mir wieder das schöne alte Blau und etwas Chrom. Als wir in den Oldtimerclub eintraten, machte das ehrfurchtsvoll gesprochene Zauberwort die Runde: „Erstbesitz!“ Ja, ich bin Kurts Erstbesitz, und er ist meiner! Altes Eisen rostet, nicht aber alte Liebe.
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